Cover
Titel
Beute und Conquista. Die politische Ökonomie der Eroberung Neuspaniens


Autor(en)
Huber, Vitus
Reihe
Campus Historische Studien 76
Erschienen
Frankfurt 2018: Campus Verlag
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Werner Stangl, Council on East Asian Studies, MacMillan Center, Yale University

Rechtzeitig vor der fünfhundertsten Wiederkehr der Landung der Expedition von Hernán Cortés an der mexikanischen Atlantikküste, erschien mit dem hier zu besprechenden Buch von Vitus Huber ein Werk zu jenen Mechanismen, die aus diesem singulären Ereignis in Retrospektive den Startschuss zu einem dauerhaften und robusten System machen sollten. Diesem Gedenkjahr wird im deutschen Raum zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Falls Vitus Hubers Buch diesen Jahrestag von Anfang an ins Auge gefasst haben sollte, so muss man von einer brillanten strategischen Leistung sprechen, handelt es sich bei dem Werk doch um die publizierte Fassung der Dissertation mit einer umfangreichen, selbst erschlossenen Quellenbasis – und somit nicht um ein einfach zu terminierendes Projekt. Zuzutrauen wäre es Huber jedoch, angesichts der strukturierten Methodik des Buchs und dem zielstrebigen akademischen Werdegang des Autors.

Die Themenwahl selbst verrät ein gerüttelt Maß an Wagemut. Wie Huber im Vorwort verrät, fehlte es nicht an Ratschlägen, ein anderes Forschungsobjekt zu suchen: Es sei doch schon so viel darüber geschrieben worden. Dazu kommen ideologische Minenfelder, persistente Imaginationen und stereotype Assoziationen als Ballast. Tatsächlich – so jedenfalls der Eindruck des Rezensenten – sind diese Schwierigkeiten dafür verantwortlich, dass zwischen „dem vielen Geschriebenen“ und dem Heute eine gewisse Kluft herrscht. Die Zahl rezenter Betrachtungen der Conquista als Gesamtphänomen ist generell nicht hoch. Unter den existierenden Studien dominieren einerseits vom linguistic turn inspirierte Themen zu interkulturellen Aspekten oder zur Dekonstruktion des „kolonialen Narrativs“ (beziehungsweise es wird ein dekolonisierendes Gegennarrativ entworfen). Andererseits liegt der Fokus konkret auf den spanischen Conquistadoren. Hier wird der Blick erschwert durch das unsägliche Erbe der „Geschichte großer Männer“, potenziert um Eurozentrismus und die jahrzehntelange franquistische Erhöhung der Hispanidad. Hubers Ansatz mit einer politisch-ökonomischen Stoßrichtung fällt somit aus dem Rahmen, ist aber vielleicht auch ein Signal, dass wir bereit sind, diese Gruppen – ohne Apotheose – wieder ins Bild zu rücken.

Die Studie ist in drei Hauptteile gegliedert, die den Phasen der politischen Ökonomie der Eroberung entsprechen. Der erste Teil widmet sich den Prozessen, die der eigentlichen Conquista vorangehen und somit einen Rahmen vorgeben, der auch unmittelbare Auswirkungen auf die folgenden Geschehnisse hatte, sei es in Hinblick auf Erwartungen und Rechtfertigungen oder auf konkret zu erfüllende Verträge. Im ersten Teil wiederum kommen zunächst (wie in solchen Arbeiten üblich) die Rechtsgrundlagen und Beutepraktiken der „Reconquista“ zur Sprache. Dem folgt eine Analyse des in Verträge gegossenen Verhältnisses der Conquistadoren zur Krone beziehungsweise zu deren Agenten. Ein weiterer Abschnitt geht eine Ebene tiefer und nimmt sich der Rekrutierungsformen sowie der Versprechen und ökonomischen Beziehungen von Cortés zu den Expeditionsteilnehmern an.

Der Unterabschnitt über die Allianzen mit indigenen Verbündeten ist aus Sicht des Rezensenten jener Punkt, bei dem man eine kritische Anmerkung in dieser insgesamt runden Arbeit anbringen kann. 13 Seiten in einem so umfangreichen Werk entsprechen in keiner Weise der Bedeutung der komplexen Beziehungen der Conquistadoren zu indigenen Gemeinschaften für die gesamte politische Ökonomie der Eroberung. Indigene Allierte waren nicht nur zur Durchführung der Conquista unabdingbar, sie waren auch in der Lage, eigene Ansprüche zu stellen und vielfach durchzusetzen. Noch mehr, ihre Position als politische Akteure beeinflusste auch maßgeblich Spielräume und Beutepraktiken der europäischen Conquistadoren untereinander. Diese unauflösliche Verflechtung wird nicht sichtbar und hätte konsequent in die Logik der Arbeit aufgenommen werden müssen: Für den ersten Teil erfüllt der Abschnitt noch einigermaßen diesen Anspruch. Dem zweiten Hauptteil fehlt jedoch eine Betrachtung der Verbündeten als Beutenehmer und Akteure, die der zu verteilenden Beute auch innerhalb der „Expeditionslogik“ Grenzen setzen konnten. Im dritten Teil wiederum hätten die diskursiven Strategien privilegierter indigener Gemeinschaften zur Absicherung ihrer Position dargestellt werden können, ebenso der Aktionsradius der Indigenen generell innerhalb der königlichen „Gnadenökonomie“. Dem Rezensenten ist klar, dass Quellen und Literatur zu diesen Themen teilweise andere sind und eine eingehendere Beschäftigung damit ein Tor zu einer weiteren Dimension aufgestoßen hätte (und die Menge aufgearbeiteter Quellen und Literatur ist auch so schon beachtlich), dennoch hätten vermehrte Hinweise auf Literatur oder auf die Bedeutung für das Thema die Arbeit aufgewertet.

Nach der Beschäftigung mit Planungshandlungen und Erwartungen widmet sich der zweite Hauptteil den konkreten Dynamiken der Beuteverteilung im Zuge der Eroberungszüge selbst. Huber beginnt mit einer logischen Begriffserarbeitung und Typisierung (Arten von Beuteakquise, Arten von Beute, Erklärung der Schlüsselbegriffe repartimiento und encomienda im Kontext), gefolgt von einer Beschäftigung mit der Verteilung von mobiler Beute, Land und Menschen „vor Ort“. Ein Abschnitt über „Mikrodynamiken“ der Conquista ist aus Sicht des Rezensenten besonders wertvoll. Darin wird klar ersichtlich, welche Folgen sich aus der konkreten Beutepraxis, den erfüllten und unerfüllten Erwartungen und Ansprüchen aus der ersten Welle der Eroberung ergaben – hinsichtlich der individuellen Biographien aber auch in Hinblick auf die Conquista als sich selbst nährendes System („Beutespirale“). Auch die Rolle der conquistadores-encomenderos in der Entstehung der protokolonialen Ökonomie wird sehr gut herausgearbeitet.

Die beiden letzten Kapitel des zweiten Hauptteils haben bereits eine Angelfunktion in Hinblick auf den dritten Teil. Es geht um die Krone und ihre Institutionen, beziehungsweise die Handlungen der Eroberer bei der Legitimierung und Absicherung ihrer Beute durch normierte Rechtsakte (Einschmelzung) sowie die dokumentierte Erfassung der Beute zur Ermittlung der Kronanteile. Daneben werden diskursive Strategien der Konquistadoren zur Sicherung ihrer Belohnung besprochen. Huber beweist, dass es ihm ungeachtet des sozioökonomischen Zuschnitts des Werks nicht an der Kapazität mangelt, Diskurse umfassend zu betrachten und zu analysieren.

Der gesamte dritte Teil widmet sich den Konsequenzen der einsetzenden Institutionalisierung einer „Kolonialherrschaft“, die mit Hilfe von narrativen Praktiken konstruiert wird. Dabei wird verdeutlicht, wie persönliche soziale Kontakte und unmittelbare Handlungen in den Hintergrund zu treten begannen und gegenüber der Notwendigkeit, die eigenen Ansprüche diskursiv und schriftlich zu begründern, an Bedeutung verloren. Die Krone, beziehungsweise „staatliche“ Institutionen wie die Audiencia-Gerichte, übernahmen Schiedsrichterfunktion; in der Begriffsbildung der besprochenen Studie kommt es zum Wandel von einer „Beuteökonomie“ zu einer „Gnadenökonomie“. Dabei macht Huber auch deutlich, dass der Übergang gerade bei den „Audiencias“ eher graduell verlief: Die erste und auch zweite Gerichtskommission sind noch eindeutig als Teil eines Akteurschemas zu begreifen, erst später entwickelten sie sich zu anonymeren Institutionen.

Jedenfalls wird ersichtlich, wie sich mit der Institutionalisierung der kolonialen Beziehungen und der daraus erwachsenden Bedeutung von Bittschriften auch Strategien der Absicherung und der Einforderung zustehender Belohnungen veränderten. Der Autor analysiert dabei die sich entwickelnden Dokumenttypen (zum Beispiel Verdienstberichte), arbeitet deren strukturelle Elemente und Standardisierungen ebenso heraus, wie die in diesen Rahmen eingesetzten individuellen Darstellungsformen zur Durchsetzung von Ansprüchen.

Insgesamt kann man Hubers Werk als höchst gelungenen und überzeugenden Beitrag zur Erforschung der Conquista betrachten, das nach der jahrzehntelangen Dominanz narrativer und metanarrativer Betrachtungen einen wichtigen Impuls für mikroökomische Perspektiven liefert. Huber verbindet zudem theoriegeleitete Ansätze in ausgewogenem Maß mit einer quellendominierten und klar auf ein historisches Phänomen ausgerichteten Darstellung. Mit der Vernachlässigung der zentralen Bedeutung indigener Akteure in der politischen Ökonomie hat die Arbeit zwar eine angreifbare Flanke, die jedoch die Validität und den Wert der dargestellten Erkenntnisse nicht mindert. Sie bietet jedoch sicherlich Platz für weitere Arbeiten.

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